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  • AutorenbildOlivia Alig

Familiendokus & Co. – Kinder als Darsteller:innen in den Medien

Aktualisiert: 27. Mai 2021


Vorgestern „Elternschule“, gestern „Kinderinfluencer“, heute die Diskussion um "Plötzlich arm, plötzlich reich"[1]. Wenn es um das Thema von Kindern in den Medien geht, werden das Kindeswohl und die Kinderrechte leider häufig vergessen. Dies gilt insbesondere in den Fällen von Reality-Formaten, Familien-Dokumentationen, Erziehungssendungen und bei Kinderinfluencern.


Welche Rechte der Kinder in Medien, insbesondere in Fällen von Kinderinfluencern oder Familien-/Erziehungsdokus kommen in Betracht? Hier geht es u.a. um die Kinderrechte nach der UN-Kinderrechtskonvention, das Jugendarbeitsschutzgesetz, um das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Grundgesetz (GG), das Recht auf Würde (Art. 1 GG), um Bildrechte, Datenschutz (Kunsturhebergesetz, DSGVO) …. Die Kinderrechte in der digitalen Welt wurden jüngst durch den Comment Nr. 25 zur UN-Kinderrechtskonvention (in Deutschland mit Rang eines Bundesgesetzes) gestärkt. Dort wird ausdrücklich klargestellt, dass die Kinderrechte auch in der Medienwelt gelten und insbesondere das Kindesinteresse (= Kindeswohl und Kindeswille) vorrangig zu berücksichtigen ist (Art. 3 UN-KRK).


Was bedeutet Kindeswohl? Beim Begriff Kindeswohl handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der (ohne dass leider die Kinderrechte im Grundgesetz stehen) u.a. durch die Grundrechte und die Grundbedürfnisse bestimmt wird. Bei Kindeswohlgefährdungen macht der Staat von seinem sogenannten Wächteramt Gebrauch (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG), so dass das Jugendamt und ggf. das Familiengericht tätig werden (§§ 8a, 42 SGB VIII, §§ 1666, 1666a BGB). Ansonsten sind die Eltern zur Verwirklichung des Kindeswohls und der Kinderrechte (gegenüber dem Staat) verantwortlich (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG, §§ 1626 ff BGB). In § 1666 BGB wird das Kindeswohl bei Gefährdungslagen von körperlichen, geistigen oder seelischen Kriterien bestimmt. An dieser Schnittstelle arbeiten Sozialpädagog:innen und Jurist:innen zusammen.


Haben wir im bereits genügend rechtliche Instrumentarien? Die Frage lässt sich mit einem eindeutigen „Ja“ beantworten. Es existieren eine Vielzahl von Regelungen zum Schutz von Kindern in Medien und damit auch unterschiedliche Institutionen und Kompetenzen. Dies scheint zur Rechtsdurchsetzung der Rechte der Kinder leider nicht förderlich zu sein. Ob ggf. das am 01.05.2021 in Kraft getretene Jugendschutzgesetz (JuschG) und die neu geschaffene Behörde Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz diesbezüglich Abhilfe schaffen kann, bleibt abzuwarten.


Welche Rechte und Regelungen bei Medienproduktionen unter Mitwirkung von Kindern sind zu beachten? Vorrangig geht es bei Medienproduktionen aller Art um die Frage der Kinderarbeit. Diese ist grundsätzlich verboten (§ 5 Abs. 1 JArbSchG, Art. 32 UN-KRK). Fragen des Jugendarbeitsschutzes müssten die Aufsichtsbehörden in diesem Zusammenhang unter Mitwirkung des Jugendamts beantworten (in Hessen z.B. das Regierungspräsidium) bzw. die diesbezüglich Ausnahmegenehmigungen erteilen. Ausnahmegenehmigungen für Kinder unter 3 Jahren können nicht bewilligt werden (§ 6 JArbSchG). In der Regel sind zusätzlich eine schriftliche Einwilligung der Eltern, eine ärztliche Bescheinigung und eine Unbedenklichkeitserklärung der Schule sowie eine Stellungnahme des Jugendamtes erforderlich. Ob diese Anträge im Einzelfall gestellt werden, insbesondere bei Kinderinfluencern, Familien-Dokumentationen oder Reality-Formaten ist fraglich.

Es geht auch um Fragen des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes (Art. 1, 2 GG) und um die Bildrechte der Kinder sowie Datenschutz (Kunsturhebergesetz, DSGVO).

In die Zukunft blickend, könnten die Kinder auch das Recht auf Vergessenwerden nach Art. 17 DSGVO geltend machen.

Grundsätzlich werden die erforderlichen Einwilligungen zur Aufnahme und Veröffentlichung von den Eltern abgegeben, die ihre Kinder rechtlich vertreten, § 1629 BGB. Wegen eigener (wirtschaftlicher) Interessen, beispielsweise beim Thema Kinderinfluencer oder bei Überforderung (wie z.B. einem Reality-TV-Format) können die Eltern jedoch unter Umständen rechtlich nicht wirksam einwilligen. Deshalb müssten die Eltern ab einem gewissen Alter und Einsichtsfähigkeit ihre Kinder zusätzlich beteiligen (§§ 1626 Abs. 2 BGB, entsprechend §§ 104ff, 828 BGB) und selbst die erforderlichen Anträge stellen (ggf. bei der Aufsichtsbehörde, beim Jugendamt oder dem Familiengericht).


Produktionsfirmen und Sender sollten eigentlich das Prozedere nach dem JArbSchG bei der Mitwirkung von Kindern in Shows, Spielfilmen, Serien etc. kennen (auch was bei Ausnahmegenehmigungen die Ausgestaltung und den zeitlichen Rahmen angeht). Herrscht hinsichtlich Dokumentationen, Reality-TV-Formaten u.ä. ggf. ein blinder Fleck?


Ausblick: Hoffentlich hat die aktuelle Diskussion dafür gesorgt, dass die Aufsichts-Praxis durch den Arbeitsschutz und das Jugendamt bekannter wird und künftig auch Anwendung auf Dokumentationen, Reality-TV und Kinderinfluencern findet. In solchen Produktionen sind die Kinder noch schutzbedürftiger, da ihre Eltern – wie beispielsweise am Beispiel Elternschule – in der Regel selbst überfordert sind, die Rechte ihre Kinder wahrzunehmen, oder im Fall der Kinderinfluencer sogar selbst Produzenten sind. Frankreich hat deshalb im letzten Jahr ein Gesetz zum Schutz von Kinderinfluencern erlassen.

Würden die entsprechenden Anträge vor Medienproduktionen gestellt und zumindest das Jugendamt eingeschaltet, könnten traumatisierte und gefährdete Kinder vor weiteren Kindeswohlgefährdungen geschützt werden. Der aktuelle Fall zeigt auf, wie wichtig (jugend-) schutzrechtliche und kinderrechtliche Kenntnisse für die Soziale Arbeit und für Medienunternehmen sind.


Der aktuelle Fall eines TV-Formats des Wohnungstausches zweier Familien verdeutlicht zudem, dass an dieser Stelle letztlich nicht nur rechtlich argumentiert werden, sondern die moralische Selbstkontrolle der Verantwortlichen funktionieren muss.

Ein Mitwirkender in einer Reality-TV-Sendung hat mutig und sich dabei ggf. selbst Nachteile verschaffend, die weitere Produktion und die Ausstrahlung im Namen des Kindeswohls verhindert. Außerdem hat er dafür gesorgt, dass das Jugendamt sich nun den Kindern annehmen kann.


Fazit: Als Mediatorin bin ich stets dafür, sämtliche wechselseitigen Interessen & Bedürfnisse zu berücksichtigen. Kinderrechte und das Kindeswohl (auch in den Medien) sind jedoch nicht verhandelbar und stellen letztlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe aller Akteure und Verantwortungsträger dar.


Frankfurt am Main, 26.05.2021 - Olivia Alig, Rechtsanwältin & Mediatorin, Lehrbeauftragte an der FUAS, FB 04 (Medienrecht & Jugendmedienschutz), www.medienanwaeltin.de



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